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"Blinde Solidarität mit Israel ist ein Fehler"
Für den jüdischen Friedensaktivisten Reuven Moskovitz ist eine Lösung im Nahen Osten nur „von außen“ möglich

Freiburg /Ehrenkirchen (khb). „Ich habe zwei große Befreiungen erlebt. Die erste war die Befreiung aus dem Warschauer Ghetto durch die Rote Armee.“ Gespannte Stille am Donnerstagabend (2. 2. 2012) im Paul-Gerhardt-Haus in Ehrenkirchen bei Freiburg, als Reuven Moskovitz seinen Vortrag beginnt. Das Pfarramt der Evangelischen Kirchengemeinde hatte in Kooperation mit der Evangelischen Stadtkirche Freiburg und der Evangelischen Erwachsenenbildung den 83jährigen israelischen Friedensaktivisten eingeladen. Unter dem Titel „Israel: Auf dem langen Weg zum Frieden“ berichtete der Holocaustüberlebende den über siebzig betroffen lauschenden Anwesenden fast zwei Stunden lang aus seinem Leben und von seiner Arbeit für Frieden in Israel. „Die zweite große Befreiung erlebte ich, als ich den Kniefall von Willy Brandt 1970 im Warschauer Ghetto sah. Er befreite mich von meinem Hass auf die Deutschen.“

„Was ein Schtetl ist“, nimmt Moskovitz die Eingangsfrage des Ehrenkirchener Pfarrers Ulrich Greder auf der auch zahlreiche Jugendliche zu der Veranstaltung eingeladen hatte. Der Erzählfluss des hellwachen, vitalen Seniors mäandert dann von seinem kleinen Geburtsort Frumuşica im Norden Rumäniens über Verfolgung und Vertreibung, die Ankunft in Palästina 1947, das Kibbuz Misgav-Am an der libanesischen Grenze, das arabisch-jüdisch-christliche Friedensdorf Neve Shalom, die er beide mitbegründete bis zur israelischen Friedensbewegung. Er gibt spannende Geschichten und heitere Anekdoten aus seinem eigenen Leben zum Besten, zitiert die Bibel und macht Witze. Ein Erzählen ohne Konzept aber nie ohne Orientierung. Und immer wieder nimmt er die Frage nach dem „Schtetl“ auf, als dem Mittelpunkt jüdischen Lebens.

„Was ich euch aber eigentlich sagen will“, die Stimme wird hart. „Die Lage in Israel spitzt sich zu!“ Drei aktuelle Konflikte in dem Land, das seine Heimat ist und das er liebt, empören den Friedensaktivisten: Der stärker werdende Einfluss der orthodoxen Juden, die „das moderne Land Israel ins Mittelalter zurückführen“, die andauernde Unterdrückung der Palästinenser - „Wir sind ein Apartheidstaat“ - und die militärische Drohung der israelischen Politiker gegen den Iran. „Die Drohung mit einem atomaren Krieg wird die Region in Schutt und Asche legen. Unsere Politiker spielen mit dem Feuer“, warnt Moskovitz und dies, obwohl seiner Meinung nach Israel keineswegs bedroht sei.

Die Lösung des Konfliktes könne nur von außen kommen. „Obama muss sich durchsetzen“, sagt er, zusammen mit der Europäischen Union und Deutschland, als einem der wichtigsten wirtschaftlichen Partner Israels. „Die blinde Solidarität Deutschlands mit Israel ist ein großer Fehler.“ Man müsse, in aller Freundschaft und ohne die grundsätzliche Solidarität mit dem Existenzrechts Israels aufzugeben, in klaren Worten den irrsinnigen Absichten der israelischen Politiker Einhalt gebieten, „nicht neue U-Boote schicken, wie dies Frau Merkel nun wieder tut.“ Vehement warnt Reuven Moskovitz vor der Gefahr, auf die sein Land zusteuere. „Ein Wirtschaftsboykott wäre gerecht“, beantwortet er die Frage eines Zuhörers. „Dazu würde ich aber in Deutschland nie aufrufen. Das schaffen die Deutschen nicht.“

Mit den tanzenden Melodien seiner Mundharmonika, die der „Friedensabenteurer“, wie ihn deutsche Freunde schon genannt haben, am Schluss seines Vortrags erklingen lässt, entlässt Reuven Moskovitz seine Zuhörer. Im Juni will er wiederkommen um für einen Abend nur Musik und jüdische Literatur vorzustellen. Dann will er die Politik beiseite lassen.
 
Eintrag vom: 04.02.2012  




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